VictimBlaming
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Victim blaming: Meine sexuellen Reize entschuldigen keine sexuelle Gewalt

Wenn ich mir die Brüste bis zur Unterkante meines Kiefers hochschnüre und dann behaupte, ich sei empört weil sich ein Mann nach mir umgedreht habe, müsste ich mich selbst der Lüge bezichtigen. Natürlich strahle ich mit meinem Aussehen sexuelle Reize aus, die vom Gegenüber wahrgenommen und interpretiert werden dürfen. Ich stecke verhältnismäßig viel Geld in besonders vorteilhafte Kleidung und dass es nicht noch mehr Geld ist, liegt an den verdammten Mietpreisen in Köln. Aktuell würden sich nämlich hierfür einige Menschen auch auf ein Tauschgeschäft „Wohnung gegen Organe“ einlassen.

Ich quäle mich ins Fitnessstudio und habe letztens 15 kg Gewicht abgenommen. Menschen lassen sich für viel Geld ihre Haare oder wahlweise Brüste und Lippen machen. Ganz ehrliche Frage: Wer möchte nicht schön sein? Oder andersherum gefragt: Wer möchte äußerlich hässlich und sexuell unattraktiv sein? Ja ja, ich weiß, die inneren Werte können ebenfalls sexy sein, ein intelligenter Mensch reizvoll, ein gutes Wesen liebenswert. Schnüren wir uns also das Dekolleté zum Oktoberfest hoch, um auf unsere inneren Wert aufmerksam zu machen? Nein, mit Sicherheit nicht.

Wer möchte nicht schön sein?

Selbstverständlich ist diese Pauschalität übertrieben aber dennoch im Ansatz korrekt. Empört darüber zu sein, dass ein tiefer Ausschnitt für einen Mann ein kleiner Blickfang ist, ist albern. Es geht nicht miteinander einher Wert darauf legen, attraktiv zu sein aber zugleich erwarten, dass niemand darauf reagiert.

Sexuelle Anreize zu geben ist erlaubt, deplatziertes Verhalten aufgrund dieser, sicherlich nicht. Zu behaupten, Frauen seien selbst schuld wenn sie Opfer plumper Anmachen oder sogar sexueller Gewalt werden, ist schlichtweg falsch und erniedrigend für jeden Menschen, der schon einmal Opfer sexueller Gewalt wurde.

Im übrigen hat das Vertauschen der Schuld, weg vom Täter hin zum Opfer, einen Namen und nennt sich Victim blaming, zu deutsch Täter-Opfer-Umkehr. Victim blaming führt oftmals zu einer sekundären Viktimisierung. Dabei geht es darum, dass durch die nachfolgenden meist falschen Reaktionen des sozialen Umfelds, z.B. der Angehörigen und Freunde eine Intensivierung des Opferwerdens erfolgt. Eine falsche Reaktion ist z.B. die Frage an das Opfer, was es zur Zeit der sexuellen Nötigung an Kleidung trug oder ob es zu viel Alkohol getrunken hatte.

Victim blaming führt oftmals zu einer sekundären Viktimisierung.

Es ist schlichtweg dumm, empathielos, einfältig und grob fahrlässig zu behaupten, Opfer von sexueller Gewalt, zumeist Frauen, seien selbst schuld an ihrem Schicksal. Die Bekleidung oder eine sexuell anziehende Ausstrahlung bilden keinerlei Grundlage für anzügliche, abwertende Aussagen und schon einmal gar nicht für das Übertreten von körperlichen Grenzen.

Selbst wenn die freizügige, oder nennen wir es beim Namen, stark aufreizende Kleidung einer Frau lautstark ruft „Hey Leute, Männer, ich habe Interesse an Sex!“, heißt das noch lange nicht, dass diese Frau zum Freiwild wird und auch nicht, dass diese Interpretation korrekt ist.

Hey Leute, Männer, ich habe Interesse an Sex!

Gehen wir davon aus, dass eine Frau ihre körperlichen Partien freiwillig und freizügig der Öffentlichkeit präsentiert um damit tatsächlich an Sex zu kommen, heißt das immer noch nicht, dass sie von jedem Mann angebaggert werden will, der ihr kurzfristig auf der Straße begegnet. Und das Äußere hat grundsätzlich nichts damit zu tun, wie eine sexuelle Beziehung auf akzeptable Weise angebahnt wird.

Die Entwicklung einer sexuellen Beziehung zwischen zwei erwachsenen Menschen ist nur akzeptabel, wenn sie sich jederzeit und ohne schädliche Folgen für beide Seiten abbrechen lässt. Diese Regel gilt auch bereits auf der verbalen Ebene und unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung, Situation der Beteiligten, ihrer Position und der Abhängigkeiten, für Vorgesetzte und Angestellte. Wer sich aufgrund seines sexuellen Verlangens nicht unter Kontrolle hat, verhält sich nicht nur aufdringlich, sondern sexistisch und diskriminierend.

Dich interessiert das Thema? Dann gehts hier zum Blogpost „Nein heißt nein

Headerbild von Igor Starkov von Pexels