Polyamor
Er wird's nicht Küsse & Tränen

Polyamorie: Was ich von Herrn Sonntag lernte

VON GAST

(geschrieben von Isa)

Passagen in ((  )) sind Fußnoten

Es war die Begegnung mit „Herrn Sonntag“ 2018 an die ich gerade zurückdenke. Mein polyamores Projekt, welches ich eigenhändig auf wacklige Beine gebaut hatte, zerbrach und ich lenkte mich mit halbgaren Liebschaften ab. ((Nicht das Polyamorie nicht funktioniert, ich war nur noch nicht so weit und bin es aktuell auch noch nicht. Aber wer weiß was in den nächsten 10 Jahren etc. noch so passiert)) Einer davon war ein Mann Ende dreißig, mit langen Haaren und Ziegenbart. Mit ihm traf ich mich aus irgendwelchen Gründen vornehmlich sonntags. Da sich meine beste Freundin Lisa seinen Namen so gar nicht merken konnte, hieß er für sie einfach „Herr Sonntag“. 

So richtig reizvoll fand ich ihn eigentlich nicht, erinnerte er mich doch vom Lächeln her an einen gut aussortierten Exfreund. Was mich irgendwie fesselte war seine Geschichte, eher gesagt Babette, wie ich sie in diesem Text nenne.((Pseudonym ist in diesem Fall an den Klang des Originalnamens angelehnt. Sonst wäre ich nie auf Babette gekommen.)) Herr Sonntag und ich trafen uns nach dem ersten interaktiven Austausch, spontan auf einem MC-Donalds-Parkplatz irgendwo in der Großstadt. Er erzählte mir sofort, dass er ein großer Freund offener Beziehungen sei. Seine ersten sexuellen Erfahrungen bzw. seine einzigen sexuellen Erfahrungen überhaupt, habe er mit einer Frau gesammelt, die in einer offenen Ehe sei. Sie treffen sich immer noch, allerdings habe sich in ihrem privaten Umfeld einiges verschoben. Zudem sei er bereit für eine neue Lebensphase.

Herr Sonntag und Babette

Bevor er auf sie traf, wog er 40 Kilo mehr, ging selten aus dem Haus und konnte weder mit sich selbst, noch mit erotischen Fantasien sonderlich viel anfangen. Ich hingegen erlebte ihn als einen Mann, mit einem recht sicheren Auftritt und ausgeprägtem Körpergefühl, der wie ich später herausfand, ein Faible für Analsex hat und einen deckenhohen Spiegel, in einem blau beleuchteten Schlafzimmer. Herr Sonntag und Babette verbrachten mehrere Jahre miteinander, in der sie viele erste Male erlebten – sowohl körperlich aus auch emotional.

Unbewusst gab sie ihm eine ungemein erotische Färbung.

Das Verhältnis zwischen den beiden befand sich dennoch auf einer anderen Stufe, als das Verhältnis zwischen Babette und ihrem Mann. Auch wenn sie ab und an mal etwas zu dritt unternahmen, ((rein platonisch)) lebten sie doch nicht polyamor. Herr Sonntag erzählte mir nicht wahnsinnig viel von den einzelnen Erlebnissen mit Babette. Dennoch sah ich sie in seinem aufgeheiztem Blick, seinen sinnlichen Bewegungen ((Holla die Waldfee)) und spürte ihren Einfluss in jedem leidenschaftlichen Kuss. Unbewusst gab sie ihm eine ungemein erotische Färbung. ((Die Gestaltung seiner Wohnung wird wohl bewusst gewesen sein)) Ich war davon wahnsinnig fasziniert und finde ich es schade, Babette nie kennen gelernt zu haben – ich wäre wahrscheinlich meiner Meisterin begegnet. 

Lange hielt meine Liaison mit Herrn Sonntag nicht. Seine Leidenschaft und Fantasie kamen einfach nicht dagegen an, dass er, wenn er lachte aussah wie einer meiner abgelegten Exfreunde.

Reizvolle Vorstellungen

Und nun bin ich selbst einem „Jungmann“ begegnet. Ich habe nicht danach gesucht. In Erinnerung an die Begegnung zwischen Herrn Sonntag und Babette, fand und finde ich die Vorstellung, so etwas wie die beiden zu entwickeln, jedoch ungemein reizvoll. Allerdings würde ich Torben nicht umkrempeln wollen. Ich mag seine schlichte, aber persönlich eingerichtete Wohnung ((obgleich ich den deckenhohen Spiegel schon geil fand ?)) und denke, dass sich jeder optisch so verändern sollte wie er selbst möchte. Er ist ein toller Mann, dem einfach Zuspruch, Streicheleinheiten und Bestätigung fehlen. Der Blick, wenn ich ihm sage, dass ich ihn sexy finde, ist unbezahlbar. Steht er nackt vor mir, schaue ich ihn gerne an und versuche ihm das auch so zu zeigen.

Während unser erstes Treffen bei ihm zuhause,­ natürlich etwas holprig war – jedoch auf keinen Fall unbeholfen – kommen wir uns bei jeder Begegnung körperlich ein Stückchen näher, ein Stückchen tiefer.. Körper bewegen sich immer mehr in einem Rhythmus, Haut schmiegt sich aneinander und die Atmung wird unkontrollierter – Blicke verschmelzen. Für mich sind es diese puren Momente die mich süchtig machen, Gänsehautaugenblicke, wenn der Körper des anderen unter meinen Berührungen zittert. 

Und nun bin ich selbst einem „Jungmann“ begegnet.

Ich hatte das Vergnügen, schon einige dieser Momente zu erleben. Lässt sich ein Mensch beim Sex auf den anderen ein, lässt die Berührungen des anderen zu und agiert selber ganz frei und ungezwungen, so ist er für mich erst dann richtig nackt und pur.(( Nicht wenige Menschen sind auch beim „Liebesspiel“ verkrampft und berühren sich nur an den „Schnittstellen“ anstatt jeden Millimeter der Haut des anderen zu erkunden)) Es ist der Augenblick indem eine Person am schönsten ist und mit keiner anderen zu vergleichen. Aus diesem Grund kann ich mich neben meiner eigentlichen Partnerschaft einer weiteren Liebschaft hingeben. 

Ich vergleiche nicht, ich genieße die Vielfältigkeit der Menschen die mich begehren, jeder auf seine Weise. Und ich begehre jeden Kuss, jede Berührung, jeden Zungenstrich und jedes Knabbern des Mannes der sich mir gerade hingibt. ((Das Gleiche gilt natürlich, treffe ich auf eine Frau mit der ich erotische Momente teile)) Die Bewegungen des Körpers, die Geräusche und auch der pure Körpergeruch sind dabei wie eine erotische Handschrift, die mich dazu bringt, mich fallen zu lassen. In genau diesem Augenblick liebe ich ohne Einschränkung. 

Mit Haut und Haar

In diesem Punkt lieber Tom, sind wir beide uns einig und auch ähnlich. Nimmt sich einer von uns einen Moment, in dem er mit einer anderen Person die Welt vergisst, so tut er dies mit Haut und Haar. Doch das ändert nichts daran, dass du und ich gerade das Große und Ganze miteinander verbringen, uns ergänzen und nebeneinander her gehen. Ganz im Gegenteil, es schürt das Feuer zwischen uns und verhindert, dass wir im Großen und Ganzen untergehen und uns als Paar vergessen. Steht ein Treffen mit einer anderen Person bevor, haben wir Lust aufeinander. Kommen wir von einer Begegnung zurück, haben wir Lust aufeinander. Ja ich gebe zu, ich habe mit zwei verschiedenen Männern ganz unabhängig voneinander Sex am selben Tag und ich genieße es in vollen Zügen! 

Sex ist eine Form der Begeisterung.

Sex ist eine Form der Begeisterung. Gerne begeistere ich mich für Personen, die auf ganz anderen Sternen leben und mir einen Einblick in eine ganz andere Welt als die meine geben. Das Leben von Torben mit den vielen Routinen und möglichst wenig Veränderung wäre meine persönliche Hölle. In meiner schnelllebigen, zeitchaotischen Welt würde er hingegen den Kopf verlieren. Dennoch verstehen wir uns gut, haben eine ähnliche Weltanschauung und können lange, frei und leicht miteinander reden. Wir wissen aber, dass ein dauerhaftes Miteinander ein dauerhaftes Gegeneinander wäre. Unser Treffen zu zweit ist daher umso mehr ein ganz kurzes, inniges „Woanders sein“.

Ich bin seine „Babette“

Torben ist ein sehr fokussierter Mann, der nicht schnell den Kopf verliert. Die Sekunde, in der er vor Lust die Augen schließt und den Kopf nach hinten wirft, ist für mich wie eine Droge. Ich genieße zu sehen, wie jede Begegnung ihn ein wenig sicherer werden lässt, in seinen Berührungen, seinen Küssen, seinem Blick und seinen Stößen. Sex und das Begehren durch eine andere Person, macht allgemein selbstbewusster ausgeglichener und färbt – den Gang, den Blick, sogar das Lächeln und den Tonfall im Alltag. Kann man sich in einer anderen Person fallen lassen, so fällt auch der Stress ein wenig von einem ab.

Für Torben ist das alles immer noch neu und irgendwie unwirklich, dennoch sind die Momente mit ihm ungemein nah. Ich sehe, dass er mir immer ein Stückchen mehr glaubt, dass ich ihn begehre und sexy finde. Liegen wir nebeneinander im Bett, und reden über sein oder mein Leben, tun wir dieses fest ineinander verschlungen- das genieße ich total. Ich wäre gerne für eine ganze Weile seine „Babette“. Begegnet er irgendwann einer anderen Frau, ist sie von seiner Ausstrahlung und meinem Einfluss vielleicht genauso fasziniert wie ich es bei Herrn Sonntag war.

Zudem hat Torben ein viel viel schöneres Lächeln als der Mann mit Ziegenbart. Bislang erlebten wir sein erstes Duschen zu zweit, die erste Nacht zu zweit und den ersten Sex am Morgen. Ich denke es werden noch einige erste Male folgen, bis hin zum deckenhohen Spiegel 😉

Über die Autorin


Wir sind Isabel und Tom und leben in einer offenen Beziehung. Wir haben eine kleine Tochter und wohnen in zwei Wohnungen auf einer Etage zusammen. Unsere Erfahrungen und alles was uns so bewegt schreiben wir in unserem Blog www.offernerzweier.de nieder. Wir schreiben hauptsächlich für uns, freuen uns aber auch, durch unsere Texte einen Beitrag in der Aufklärung bezüglich alternativer Beziehungsformen leisten zu können.

Der Text ist bereits hier erschienen.

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