periodensex
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Periodensex – So hässlich schön und so schön hässlich

VON GAST

*Name geändert.

Nach einer leidenschaftlichen Affäre in Südamerika dachten wir eigentlich nicht, dass wir uns je wieder sehen würden. Aber Zufälle passieren nun mal – und so führte er Anna* und mich für ein weiteres Wochenende in Madrid zusammen.

Anfänglich waren wir sehr nervös. Unser letzter persönlicher Kontakt war immerhin schon über zwei Jahre her – weshalb wir uns ganz langsam annähern wollten. Es war viel passiert in der Zwischenzeit. Beziehungen und Liebhaber kamen und gingen. Wir fragten uns, ob wir wieder diese Leidenschaft füreinander empfinden würden. Würde diese magische sexuelle Anziehung, unter deren Einfluss wir uns damals in Buenos Aires gegenseitig verschlungen hatten, wieder spürbar sein?

Aber unsere Zweifel waren unbegründet. Nach den ersten schüchternen Gehversuchen und ein paar Gläsern Wein wurde es schnell sehr natürlich zwischen uns – und sehr vertraut. Sie hatte noch immer diese fröhliche, strahlende Ausstrahlung, die langen schlanken Beine und ihre Spitzfindigkeit. Entgegen unseren Erwartungen war die Verbindung von damals schnell wieder hergestellt. Wir lachten, tranken aus und wussten, dass wir uns die nächsten zwei Tage nicht oft aus dem Hotel bewegen würden. Es sollte ein magisches Wochenende werden.

Periodensex.

Bevor wir unsere getrennten Zimmer zu einem um-arrangierten, blickte Anna noch sehr schüchtern – fast beschämt. „Meine Regel hat gerade angefangen…“ sagte sie.

Ein wenig perplex schaute ich sie an und fragte: „Und?… Macht dir das was aus?“

„Ganz und gar nicht – ich dachte nur, dass du vielleicht ein Problem damit hast…“ sagte sie erleichtert, aber noch immer leicht verunsichert.

Worauf ich kurz lachen musste. „Es ist wirklich kein Ding! Entspann dich bitte…“

Für mich war die Regelblutung nie ein Problem. Schon eine meiner ersten Freundinnen hatte mir sehr direkt und offen erklärt, was es mit ihren emotionalen und sexuellen Schwankungen auf sich hatte. Was für Torturen sie manchmal durchleiden musste. Sie erzählte aber auch, dass ihre Tage für sie immer die beste, beziehungsweise intensivste Zeit seien, um Sex zu haben. Sensorisch sowie emotional – denn sie empfand den Sex in dieser Zeit als sensibler, intimer und leidenschaftlicher  – sensory Overload sozusagen. Oft scherzte sie: “Wenn ein Mann dich nicht während deiner Periode fickt, dann liebt er dich nicht wirklich.” Und damals war es für mich, zumindest bei ihr, tatsächlich so. Der Sex wurde dadurch intimer und vertrauter – sie merkte, dass ich keine Angst, Scheu oder gar Abscheu gegenüber ihrem Körper hatte. Ganz im Gegenteil – sie spürte meine Hingabe und mein bedingungsloses Verlangen nach ihr – mit Regel oder ohne.

Als ich also Anna in unserem Hotelzimmer in Madrid erklärte, dass Sex während der Regel für mich überhaupt kein Problem ist, griff sie nach meinem Hemd, zog mich zu ihr und küsste mich leidenschaftlich.

Die nächsten zwei Tage waren geprägt von einer wunderschönen Intensität und Intimität. In unserer hermetisch versiegelten Hotel-Kapsel verloren wir das Gefühl für Zeit und Raum. Nackt, verschwitzt, fühlend, schmeckend, riechend und uns erschöpfend verbrachten wir die Stunden. Hände, Münder, Haut und Haare. Sex ist so hässlich schön. Und so schön hässlich.

Die Erforschung des anderen Körpers und seines Geruchs. Verspielt und frech. Natürlich würde ich beim Sex ein Kondom verwenden. Aber Sex ist so viel mehr als Penetration. Penetration ist ja eigentlich das Langweiligste daran. Und Sex ist nicht diese schweißfreie, sterile Hollywood Fantasie.

Essen, schlafen und ficken. Das war das Universum, in dem wir uns an diesem Wochenende befanden. In schöner, schmerzhafter Erschöpfung lag sie auf mir – eng umschlungen waren unser Körper eine einzige gemeinsame Masse geworden. Wir teilten uns eine Zigarette, schauten uns an und lachten laut ob der Intensität. „Wow…“ stöhnte ich.

Als ich ins Bad ging, um die Kondome in den Müllkorb zu werfen und mich zu waschen, blieb mein Blick ungläubig an meinem Spiegelbild hängen. Ich musste laut lachen bei dem Anblick, der sich bot: Meine Hände, mein Schwanz, mein Gesicht – auf meinem ganzen Körper waren unregelmäßig Blutabdrücke verstreut. „Fuck… das war schon sehr intensiv“ sagte ich laut zu mir selbst.

Auch das Bild von Anna, wie sie da im Bett lag, weckte Assoziationen an ein Massaker. Periodensex kann schon ein brutaler Anblick sein. Der Putztrupp tat mir leid.

Unter Männern bekomme ich bei solchen Schilderungen oft Entsetzen, Grausen oder schlicht vor Abscheu verzogene Gesichter als Reaktion. Das hat mich immer schon verwundert. Man redet ganz offen übers Arschficken, übers Blasen, über Sperma schlucken. Aber bei Regelblutung heißt es dann plötzlich „bäh, widerlich“…?

Das fällt in dieselbe Kategorie wie „Ich küsse keine Frau, die mir gerade einen geblasen hat…“ – aus meiner Sicht eine unverständliche Einstellung. Die Regel ist einfach etwas natürliches, das zum Leben einer Frau dazugehört. Je mehr man(n) sich damit auseinandersetzt, desto eher kann man sich nicht nur intimer begegnen, sondern auch zyklische Konfliktsituationen vermeiden, bzw. seine Partnerin besser verstehen. Man up and deal with it.

Anna und ich verbrachten diese Tage in einem erotischen Schwebezustand. Wir genossen unsere gemeinsamen Tage (und ihre). Anschließend gingen wir, wie schon nach unserer Affäre in Buenos Aires, unserer getrennten Wege, ohne einen Gedanken an ein Wiedersehen.

Nachwehen.

Anna wusste nicht, dass ihr Blut zu dem Zeitpunkt hoch infektiös war.

Sie wusste nicht, dass sie  HIV-positiv war.

Und sie wusste auch nicht, dass sie mich an diesem Wochenende angesteckt hatte.

Zu meinem Glück machte ich vier Monate später zufällig einen HIV-Test. So habe ich meinen Status sehr früh erkannt – und dadurch heute ein völlig intaktes, gesundes Immunsystem, welches ich mit meiner Medikation fit halte. Ich bin seit Jahren unter der Nachweisgrenze, bin nicht infektiös und gesund. Und ich habe nie jemanden angesteckt. Ich werde so alt werden wie jeder andere auch.

Anna hatte sich mehrere Wochen vor unserem Treffen angesteckt. Sie war ahnungslos – und erfuhr es erst durch mich. In den ersten Wochen der Infektion ist das Virus höchst ansteckend.

Ich werde oft nach Reue gefragt. Und nach Wut Anna gegenüber.

Weder bereue ich dieses Wochenende, noch bin ich wütend. Bereuen bringt nichts. Bereuen ist ein Mittel des Selbstmitleids. Und ihr die Schuld zu geben, würde mich als Opfer deklarieren. Und das war ich nicht. 

Meine Antwort: Weder bereue ich dieses Wochenende, noch bin ich wütend. Bereuen bringt nichts. Bereuen ist ein Mittel des Selbstmitleids. Und ihr die Schuld zu geben, würde mich als Opfer deklarieren. Und das war ich nicht. Zum Sex gehören zwei. Die Entscheidungen traf ich genauso wie sie. Es war keine Absicht – und sie muss jetzt mit einer Last leben, die mir erspart bleibt – nämlich mit dem Wissen, jemanden angesteckt zu haben. Ja, es war eine schwere Zeit. Ein sehr hoher Preis für Leidenschaft, und ein paar verlorene Jahre. Aber auch eine neue Möglichkeit – der Selbstreflexion, des Auseinandersetzens mit mir selber und meines Lebens vor der Infektion.

Unfälle passieren. „Safe Sex“ hätte in diesem Fall ein Ganzkörper-Kondom sein müssen. Wenigstens war es ein unglaublich schönes Wochenende und nicht ein unbedeutender One-Night-Stand oder besoffenes Tinder-Date. Der Spaß, die Intimität und die Emotionen waren ehrlich und offen.

(Und jene, die jetzt „Abstinenz!“ schreien, sind wahrscheinlich die gleichen, die Frauen während der Menstruation als „dreckig“ empfinden, und aufgrund religiöser Ideologien Frauen generell verachten und unterdrücken – also erspart mir bitte diese Heuchelei).

Jahre später fand ich mich in einer ähnlichen Situation wieder. Meine damalige Partnerin kannte meine Geschichte, und als wir plötzlich vor der Frage “Periodensex: Ja oder nein?” standen, redeten wir lange darüber. Über meine Assoziationen, über meine Ängste und Erinnerungen – und über das Überwinden.

…und dann liebten wir uns die ganze Nacht.

Titelbild: © CHRISTOPHER KLETTERMAYER

Über den Autor


Philipp Spiegel ist Autor, Fotograf und Künstler mit Sitz in Barcelona und Wien. Bis zu seiner HIV Diagnose arbeitete er als Fotojournalist und Modefotograf – danach fing er an sich dem Virus, Sexualität und der gesellschaftlichen Stigmatisierung zu widmen.

Seine Arbeiten befassen sich mit HIV sowie den Konsequenzen – Sei es im Dating, bei Einreisebeschränkungen oder bei gesellschaftlichen Vorurteilen. Neben HIV arbeitet Philipp Spiegel an Projekten über Sexualität, Sexuelle-Freiheiten und Diskriminierung. Seine Arbeiten wurden bereits in Deutschland, Großbritannien, Argentinien, USA, Spanien und Österreich veröffentlicht. Außerdem berät und unterstützt er zahlreiche NGOs und Hilfsorganisationen in Deutschland und Österreich. 

Philipp Spiegel ist ein offenes Pseudonym – es erlaubt einen direkteren Zugang und schützt vor Diskriminierung, die leider immer noch weit verbreitet ist. 

Für Fragen, Anfragen und Kommentare nimmt er sich immer gerne Zeit!

Der Text ist bereits auf Lvstprinzip.de erschienen.


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